Hebron ohne TIPH

Am 25. Februar 1994 ereignete sich in der Abrahams-Moschee in der Altstadt von Hebron ein für die Stadt traumatisches Ereignis. Während sich zum morgendlichen Ramadan-Gebet rund 800 Gläubige versammelten, betrat der israelische Siedler Baruch Goldstein, der Mitglied der Kach-Partei war, die später als terroristische Organisation in Israel verboten wurde, unbehelligt mit einem Sturmgewehr die Moschee und eröffnete das Feuer. Er tötete 29 Palästinenser*innen und verletzte 125.[1]

Der UN-Sicherheitsrat verurteilte das Goldstein-Massaker aufs Schärfste und rief dazu auf, Massnahmen zu ergreifen, welche die Sicherheit und den Schutz der palästinensischen Bevölkerung gewährleisten. Nach Verhandlungen unterzeichneten Vertreter der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) und Israels ein Abkommen, in dem die internationale Beobachter*innenmission TIPHTemporary International Presence in the City of Hebron – etabliert wurde.[2]

Palästinenser*innen stehen beim Checkpoint vor der Ibrahimi Moschee an, während links davon TIPH-Personal die Eingangskontrolle beobachtet. Foto: EAPPI 2017

Beobachter*innen aus Dänemark, Norwegen, Italien, Schweden, der Türkei und der Schweiz wurden nach Hebron entsandt. Der TIPH-Auftrag lautete: Beobachten, Berichterstattung und Überwachung. Zusätzlich galt es, ständigen Kontakt zur palästinensischen Bevölkerung zu pflegen. Im Rahmen des Mandats sollte TIPH zur Förderung der Stabilität, des Sicherheitsgefühls und der wirtschaftlichen Entwicklung in Hebron beitragen.[3]

Am 31. Januar 2019 hat der damalige israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu das Mandat nach über 20-jähriger Tätigkeit nicht mehr verlängert. Die Entscheidung wurde auf internationaler Ebene kritisiert.[4] Seit nunmehr vier Jahren gibt es in Hebron keine TIPH-Beobachter*innen mehr. Was machte TIPH genau vor Ort? Wie unterscheidet sich die Arbeit von TIPH von der von EAPPI in Hebron? Wie hat die lokale Bevölkerung TIPH wahrgenommen und auf das Ende des Mandats reagiert?

TIPH war mitten im Geschehen

Helge aus Norwegen, 2023 für EAPPI im Team Hebron als Menschenrechtsbeobachter im Einsatz, war vor 15 Jahren als TIPH-Beobachter tätig. Er weist auf die Arbeit von TIPH hin und benennt die Unterschiede zu EAPPI. Im Kern unterscheide sich die Arbeit von TIPH und EAPPI nicht gross. Monitoring, Beobachten, Besuche bei Familien, Zwischenfälle rapportieren. Die Rapporte von TIPH waren geheim und gingen an die israelischen und palästinensischen Behörden. Die Rapporte von EAPPI hingegen gehen zur UNO und zu weiteren internationalen und lokale Organisationen.

Bei einem Ladensbesitzer in der Altstadt von Hebron. EAPPi Begleiter*innen besprechen das weitere Vorgehen nach einem Zwischenfall. Foto: Lars/PWS 2023

«Bei TIPH waren wir oft mittendrin im Geschehen. Wir hatten eigene Fahrzeuge. Wenn es einen Zwischenfall mit Siedler*innen oder der Armee gab, wurden wir gerufen und es ging direkt zum Tatort. Angst verhaftet zu werden, hatten wir nicht. Das Mandat war von der internationalen Gemeinschaft, der PLO und der israelischen Regierung abgesegnet und wir genossen diplomatische Immunität. Zudem gab es ein sogenanntes Liaison-System: Gab es einen Zwischenfall, konnten wir direkt mit israelischen und palästinensischen Behörden in Kontakt treten.»  

TIPH funktionierte aber auf ganz anderer Ebene als EAPPI. TIPH wurde von den lokalen Regierungen eingeladen und hatte dadurch mehr Spielraum zur Verfügung. EAPPI ist auf Einladung des Weltkirchenrats vor Ort und wurde von keiner Regierung eingeladen.

Ein weiterer Unterschied: das Mandat. TIPH konnte neben Menschenrechtsbeobachtung auch Grundnahrungsmittel verteilen. Leistete dadurch humanitäre Hilfe. Ein Beispiel: TIPH lud während des Ramadans zum Fastenbrechen ein. Sie hatten auch Möglichkeiten, Projekte an Schulen zu finanzieren (Entwicklungshilfe). EAPPI hingegen verfolgt einen anderen Fokus. Hier wird der Schwerpunkt klar auf Menschenrechtsarbeit gelegt. Humanitäre- und Entwicklungshilfe ist nicht Teil deren Aufgabe.

Ladenbesitzer*innen im Souk vermissen TIPH

Seit vier Jahren ist Hebron ohne TIPH. Leila, Ladenbesitzerin im Souk und Vorsteherin der Kooperation «Women in Hebron», wünscht sich TIPH sehnlichst zurück. «Ich vermisse TIPH. Die Altstadt fühlt sich so leer an ohne die Beobachter*innen», sagt Leila. TIPH sei diejenige Organisation in Hebron gewesen, mit der grössten Macht. Aufgrund des internationalen Mandats habe TIPH viel Einfluss nehmen können. Besonders in Erinnerung geblieben sind Leila die vielen Projekte, die TIPH unterstützt hat. «Sie kamen immer vorbei und fragten, wo sie helfen können. Sie finanzierten Schulwege, halfen Zäune zu installieren oder unterstützten Familien. Zudem hatte TIPH einen direkten Draht zum israelischen Militär. Wurde ein Palästinenser festgenommen, konnte TIPH direkt nachfragen und sich nach den Hintergründen erkunden.

Leila wünscht sich TIPH zurück: Der Souk fühle sich so leer an ohne die Beoabachter*innen. Foto: EAPPI 2023

Auch Mohamed Amer vermisst die Anwesenheit von TIPH. Er betreibt einen kleinen Kiosk mit Blick auf Checkpoint 56. Vor diesem Checkpoint gibt es jeden Freitag Auseinandersetzungen zwischen der israelischen Armee und Palästinensern. Mit TIPH fühlte sich Mohamed sicherer im Alltag. «Ich fühlte mich besser beschützt. Es war jemand da, der die Situation beobachtete und uns Sicherheit vermittelte.»

Mohamad Amer fühlte sich durch die Anwesenheit von TIPH besser beschützt. Foto: EAPPI 2023

Das Fehlen von TIPH ist auch vier Jahre nach Ende des Mandats noch in den Köpfen der Einheimischen präsent. Sie wünschen sich eine Rückkehr der Organisation.

Gleichzeitig sind Leila und Muhamed besonders froh, ist EAPPI immer noch, bzw. nach der Pandemie, wieder vor Ort. Genau wie bei TIPH schätzen sie die sogenannten «Protective Presence – Walks» durch die Altstadt von Hebron, bei denen sie die Ladenbesitzer*innen besuchen, sich mit ihnen austauschen und Präsenz markieren. Auch wenn beide betonen, dass TIPH einen grösseren Einfluss hatte als EAPPI, schätzen sie unsere Arbeit. Gerade auch die Tatsache, dass die Arbeit von den EAPPI-Menschenrechtsbeobachter*innen auf Freiwilligenbasis beruht, sei nicht hoch genug einzuschätzen. Und: Im Gegensatz zu TIPH könne EAPPI Öffentlichkeitsarbeit leisten. Also anhand von Vorträgen, Blog- oder Zeitungsartikeln Einblicke in die Lage vor Ort geben.

Lars, Hebron


[1] Wiegand, Jens: Israel Palästine. Kultur, Geschichte und Gegenwart, Trescher Verlag 2023: S. 210

[2] https://web.archive.org/web/20190121113646/http://www.tiph.org/background/ (abgerufen: 29.03.2023)

[3] Ebd.

[4] Ebd.